Hier findest Du den ersten Teil unserer Ratgebers zur Stressbewältigung.
a. Was ist Stress?
Stress (engl. „Anspannung, Druck; lat. stringere: „anspannen“) lässt sich als psychische oder auch physische Reaktion auf bestimmte äußere Reize und die somit entstehende Belastung für Körper und Seele definieren.
Im ursprünglichen Sinne ist Stress eine notwendige und wichtige Abwehrreaktion des Körpers, die vor Gefahren schützen und somit das Überleben des Menschen sicherstellen sollte. In bedrohlichen Situationen beschleunigt sich sowohl der Herzschlag als auch die Atmung, die Muskulatur spannt sich an und die Substanzen Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol werden ausgeschüttet, um eine Kettenreaktion auszulösen, die den Verstand in Alarmbereitschaft versetzt und den Körper mit zusätzlichen Energien versorgt. Diese Reaktion ist fest in jeder einzelnen Körperzelle verankert und konnte selbst durch die Evolution nicht ausgelöscht werden.
Doch der Mensch der Moderne sieht sich für gewöhnlich keinen lebensgefährdenden Bedrohungen, z.B. durch wilde Tiere, mehr ausgesetzt. Heute sorgen Überforderungen, Erwartungshaltungen und Versagensängste, private und berufliche Probleme, finanzielle Sorgen und Nöte für eine ständige psychische Anspannung.
Hervorzuheben ist dabei, dass interessanterweise auch das Gefühl der Unterforderung zu negativen Gedanken, zu Selbstzweifel und Verhaltensweisen führt, die wiederum Stress verursachen. Langeweile kann stressen und zudem zu einer sinkenden Leistungsfähigkeit führen.
Aber auch physikalische Belastungen wie extreme Temperaturen, Lärm, Tage mit wenig Sonnenstunden oder aber auch zu starke Sonneneinstrahlung sowie toxische Substanzen, z.B. Raucheinatmung, sind sogenannte körperbelastende Stressoren.
Stress kann eine Spirale irrationaler Ängste entstehen lassen, die den Betroffenen tiefer und tiefer in die Depression zieht. Erschwerend kommt hinzu, dass Stresshormone nicht nur situationsbedingt ausgeschüttet werden, sondern auch durch Assoziationen und Erinnerungen entstehen: Eine beängstigende Situation bewirkt eine Stressreaktion des Körpers. Allein durch die spätere Erinnerung an diese Situation, sofern sie noch nicht verarbeitet werden konnte, löst dieselbe Reaktion im Menschen aus. Verschiedene Assoziationen können diese Stressreaktion sogar noch vervielfältigen.
Gelingt es nicht, diese Stressoren zu umgehen oder zu reduzieren, entsteht chronischer Stress mit der Folge einer Denkblockade, Vergesslichkeit oder Aggressivität bis hin zu gesundheitlichen Problemen wie Kopf- und Magenschmerzen, Allergien oder auch Herz- und Kreislauferkrankungen. Der Schlaganfall, der ebenfalls durchaus Folge eines dauerhaften Stresszustandes sein kann, ist unangefochtene Nummer Eins unter den Todesursachen in Deutschland.
Doch nicht jeder empfindet Stress als negative Belastung auf Körper und Geist. Manch einer läuft in hektischen und fordernden Zeiten regelrecht zu Bestleistungen auf, z.B. Leistungssportler oder Menschen mit Lampenfieber. Dieser positiv empfundene Stress steigert das Selbstvertrauen und Wohlbefinden. Er elektrisiert und fördert die Leistungsfähigkeit.
Sofern genügend ausgleichende Ruhephasen bestehen, ist dies ein durchaus anerkennenswerter Weg, mit Stressgefühlen umzugehen und ein glückliches, zufriedenes und vor allem gesundes Leben zu führen.
b. Erkenntnisse des vergangenen Jahrhunderts
Der kanadische Endokrinologe Hans Selye (1907 – 1982) gilt als Wegbereiter der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Stress. Seit dem Jahr 1936 widmete er sich der Erforschung der biochemischen Mechanismen einer Stressreaktion. Er veröffentlichte zu diesem Thema mehr als 25 Bücher, darunter 1950 auch seine Theorie, dass der Organismus auf verschiedene Anforderungen, wie z.B. körperliche Belastung, reagiert und diese Reaktionen von Veränderungen begleitet werden, die Selye als „allgemeines Anpassungssyndrom“ (AAS) beschrieb. Diese Anpassungsreaktion verläuft nach Selye in drei Phasen:
✔ Phase 1: Alarmreaktion
Über unterschiedliche Kanäle der Wahrnehmung, also über die fünf Sinne des Menschen Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten erhält das Gehirn im Falle eines stressauslösenden Ereignisses, z.B. einer Gefahrensituation, den Hinweis, den Körper umgehend in Alarmbereitschaft zu versetzen. Ein spezielles Leistungs- und Kraftpotenzial ist von Nöten, um die vorliegende Situation in der folgenden Widerstandsphase bewältigen zu können. Der Körper wird somit in eine Art Schockzustand versetzt, währenddessen biochemische Prozesse ablaufen, z.B. eine Erweiterung der Pupillen, Gänsehaut, eine verbesserte Durchblutung der Muskeln oder auch ein erhöhter Blutdruck.
✔ Phase 2: Widerstandsphase
Während der Widerstandsphase erreicht der Körper optimale Leistungskraft, was ihn in die Lage versetzt, die vermehrten Belastungen zu meistern. Dauern diese erhöhten Belastungen allerdings zu lange an, verbrauchen sich die mobilisierbaren Reserven des Körpers. Es kommt zum Einsatz des Parasympathikus, Teil des vegetativen Nervensystems – auch bekannt als Ruhenerv. Dieser wirkt antagonistisch auf den Sympathikus, der die nach außen gerichtete Handlungsbereitschaft im Sinne von „fight or flight“ erhöht. Daraus resultiert schlussendlich Phase 3 der körperlichen Anpassungsreaktion: die Erschöpfungsphase.
✔ Phase 3: Erschöpfungsphase
Wie der Name schon sagt, ist der Körper in dieser letzten Phase erschöpft und müde. Es fehlt an Energie und somit können die Prozesse von Erregung und entsprechender Gegensteuerung in der Widerstandsphase nicht mehr optimal aufeinander einwirken. Tatsächlich fällt die Widerstandskraft des Körpers sogar unter das Ausgangsniveau.
Da die Hormonausschüttung jedoch konstant weiterläuft, kommt es zu einer Überaktivierung des Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems und somit zu einem erhöhten Spiegel des Stresshormons Cortisol. Folgen sind z.B. Herz- und Nierenerkrankungen, eine geschwächte Immunabwehr, Gewichtsverlust, Entzündungen, Allergien oder auch psychosomatische Störungen. Als Ursache der zunehmenden Zivilisationskrankheiten sah der Vater der Stressforschung somit das erhöhte Stressniveau der modernen westlichen Industrienationen an.
Tupaias belegen die Stresstheorie von Hans Selye
Tupaias zählen zur Säugetiergattung aus der Familie der Spitzhörnchen. Diese in Südostasien heimischen Tiere weisen ein sehr ausgeprägtes Revier- und Rivalitätsverhalten auf, weshalb sie für die Untersuchung von Stressreaktionen ausgewählt wurden.
Die Forscher setzten ein fremdes Tupaia-Männchen in einen von einem Pärchen bereits bewohnten Käfig. Unter den männlichen Tieren entstand sofort ein Kampf um das Weibchen und das Revier, der bereits nach kurzer Zeit mit einer eindeutigen Dominanzbeziehung endete. Das siegreiche Männchen kehrte dem Verlierer den Rücken. Der Verlierer zog sich seinerseits in eine Ecke des Käfigs zurück und verließ diese nicht mehr. Obwohl es keine nennenswerten Verletzungen davongetragen hatte, stand das Tier durch die permanente Anwesenheit des Sieger-Männchens derart unter Druck, dass sich sein körperlicher Zustand rapide verschlechterte, bis es schlussendlich verendete. Dieser Prozess konnte nur bei den Tieren aufgehalten werden, denen die Sicht auf das dominante Männchen durch eine Zwischenwand verwehrt wurde.
Besondere Beachtung bei diesem Versuch fand die Gewichtszunahme der Nebenniere des Verlierer-Männchens um 80%. Diese Zunahme belegte Selyes Annahme, dass diesem Organ und somit auch dem von der Nebennierenrinde produzierten Hormon Cortisol eine zentrale Funktion bei der Stressreaktion zukommt.
c. Ziel des Ratgebers zur Stressbewältigung
Stress ist zu einer Volkskrankheit geworden. Nahezu jeder Mensch fühlt sich heutzutage gestresst: in der Schule, in der Uni, am Arbeitsplatz oder auch im Privatleben. Es betrifft Erwachsene, Schüler, aber auch unsere Kinder stehen täglich unter immensem Stress. Momente des Drucks und der Anspannung folgen aufeinander, ohne dass genug Zeit bleibt, die Akkus zwischendurch auch wieder aufzuladen. Langfristig führt Stress zu Organschädigungen mit ernsthaften Folgen, aber auch zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder dem Burnout-Syndrom.
Dieser Leitfaden soll nun helfen, Stresssituationen zu bewältigen und damit sowohl die Lebensqualität als auch die Gesundheit der Betroffenen zu verbessern.
Um Stress als solchen wirklich zu erkennen, um zwischen positivem und negativem Stress unterscheiden zu können und um dann dem psychisch wie auch physisch belastenden Stress wirkungsvoll gegenzusteuern, ist es notwendig, zu wissen, was Stress tatsächlich ist, wie er entsteht und welche Auswirkungen er mit sich bringt.
Um diesen Fragen eingehend auf den Grund zu gehen, setzten wir uns mit medizinischen sowie psychologischen Fachleuten auf dem Gebiet der Stressbewältigung in Verbindung, die sich erfreulicherweise bereit erklärten, sich mit ihrem umfangreichen und tiefgehenden Wissen an diesem Ratgeber zu beteiligen. An dieser Stelle möchten wir und nochmals unseren Dank für ihre kostbare Zeit und Mühe aussprechen.
In einem nächsten Schritt geht der hier vorliegende Ratgeber auf verschiedene Stresssituationen ein, denen sich jeder Mensch in seinem Leben stellen muss, und gibt entsprechende Verhaltenstipps, um die jeweilige Situation möglichst stressfrei zu beherrschen:
✔ Welchem Stress sind Kinder ausgesetzt und wie können Eltern sie darin unterstützen, den Stress abzubauen?
✔ Wie bewältigen Schüler und Studenten den enormen Lerndruck, Prüfungsangst oder Mobbing?
✔ Bewerbungsgespräche, Konkurrenzkampf im Job, Versagensängste, Rückschläge, das ständige Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit – wie können diese Sorgen überwunden werden?
✔ Auch im Privatleben ist der Mensch beherrscht von finanziellen Sorgen, Existenzängsten, Streitigkeiten, Sorgen um die Kinder oder um z.B. pflegebedürftige Familienmitglieder. Die Liste ist schier endlos.
Können diese Probleme trotz unserer Verhaltenstipps nicht mehr selbst bewältigt werden, ist es unbedingt ratsam, sich Hilfe von außen zu holen, bevor der Stress alle Kräfte und Energien aufgezehrt hat. Auch hierzu soll der Ratgeber wertvolle Tipps und Anlaufstellen bieten.
In den kommenden Wochen werden wir weitere Teile des Ratgebers zur Stressbewältigung veröffentlichen.